BAG 2 AZR 46/05
BAG 2 AZR 46/05
Über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung (Vorfaktuierung von Rechnungen, Versäumung der Erklärungsfrist).
BAG, Urteil vom 2. März 2006 - 2 AZR 46/05 - Landesarbeitsgericht Hamm, nichtamtlicher Leitsatz
Über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung (Vorfaktuierung von Rechnungen, Versäumung der Erklärungsfrist).
BAG, Urteil vom 2. März 2006 - 2 AZR 46/05 - Landesarbeitsgericht Hamm, nichtamtlicher Leitsatz
Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts hat auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 2. März 2006
für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 4. November 2004 - 8 Sa 292/04 aufgehoben, soweit es über die außerordentliche Kündigung vom 2. Januar 2003 entschieden hat.
2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 16. Dezember 2003 - 7 Ca 7237/02 teilweise abgeändert: Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 2. Januar 2003 beendet worden ist.
3. Von den Kosten erster Instanz tragen der Kläger 2/5, die Beklagte 3/5. Von den Kosten der Berufung tragen der Kläger 2/3, die Beklagte 1/3. Die Kosten der Revision trägt die Beklagte.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Revision noch über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung.
Der Kläger war seit dem 1. September 2000 als Marketingdirektor bei der Beklagten tätig.
Am 15. November 2002 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos mit der Begründung, der Kläger habe Rechnungen vorfakturiert, die der Beklagten von Werbeagenturen gestellt wurden. Ein Mitarbeiter der Beklagten hatte bereits im August 2002 entsprechende Hinweise erhalten. Das Vorstandsmitglied S war in der Folgezeit von diesem Mitarbeiter unterrichtet worden, wobei der konkrete Zeitpunkt streitig ist. Jedenfalls Ende September 2002 sind Herrn S erste Verdachtsmomente bekannt geworden.
Mit Schreiben vom 25. Oktober 2002 richtete die Werbeagentur ein Schreiben an das Vorstandsmitglied, in dem es ua. heißt:
„Wir möchten nochmals ausdrücklich betonen, dass die Fakturierung der von uns betreuten Werbemaßnahmen und Projekte auf Anweisung von Herrn K komplett im Dezember 2001 erfolgen sollte. Gleichzeitig verlangte Herr K in unserem Schreiben vom 21.12.2001 die Bestätigung, dass alle Projekte in Bearbeitung sind und im Frühjahr 2002 beendet werden.“
Der Kläger stellte unter dem 19. November 2002 beim Versorgungsamt Dortmund einen Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers teilte dies der Beklagten mit Schreiben vom 26. November 2002 (Zugang bei der Beklagten am 5. Dezember 2002) mit. Bereits am 25. November 2002 hatte die Beklagte eine weitere außerordentliche Kündigung und unter dem 29. November 2002 eine ordentliche Kündigung zum 31. Mai 2003 ausgesprochen. Mit Schreiben vom 16. Dezember 2002, das beim Integrationsamt am 19. Dezember 2002 einging, beantragte die Beklagte vorsorglich die Zustimmung des Integrationsamtes zur außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung. Die Zustimmung wurde sowohl zur außerordentlichen als auch zur ordentlichen Kündigung erteilt. Der Bescheid ging beim Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 3. Januar 2003 ein. Zuvor war der bei der Beklagten gebildete Betriebsrat mit Schreiben vom 19. Dezember 2002 zu einer beabsichtigten ordentlichen und zu einer außerordentlichen Kündigung - erneut - angehört worden. Mit Schreiben vom 2. Januar 2003, das am 3. Januar durch einen Boten um 9.28 Uhr in den Briefkasten des Klägers eingeworfen wurde, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. Mit Schreiben vom 14. Januar 2003 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis vorsorglich fristgerecht zum 31. Juli 2003.
Durch Bescheid des Versorgungsamtes vom 7. Juli 2003 wurde dem Kläger die Anerkennung als schwerbehinderter Mensch versagt; mit Widerspruchsbescheid vom 22. September 2003 wurde diese Entscheidung bestätigt. Die hiergegen vom Kläger zunächst zum Sozialgericht erhobene Klage hat er im Laufe des Berufungsverfahrens vor dem Landesarbeitsgericht zurückgenommen. Dasselbe gilt für die zum Verwaltungsgericht erhobene Klage gegen den zustimmenden Bescheid des Integrationsamtes.
Der Kläger hat gegen alle Kündigungen Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestritten. Die vorgezogene Zahlung der von den Werbeagenturen noch nicht vollständig abgerufenen Leistungen habe dem Interesse der Beklagten an einer raschen Durchführung der Aufträge gedient. Seine Kompetenzen habe er nicht überschritten. Dem Vorstand seien die einzelnen Zahlungen ohne weiteres nachvollziehbar und offensichtlich gewesen. Jedenfalls sei die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht eingehalten. Dies gelte auch bezüglich der - in der Revision allein noch streitigen - Kündigung vom 2. Januar 2003. Dass das Integrationsamt die Einhaltung der zweiwöchigen Antragsfrist des § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX bejaht habe, stehe der arbeitsgerichtlichen Überprüfung der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht entgegen. Bereits das Arbeitsgericht habe aber hinsichtlich der Kündigungen vom 15. und 25. November 2002 erkannt, dass der Beklagten der maßgebliche Kündigungssachverhalt mehr als zwei Wochen vor Ausspruch der Kündigungen bekannt gewesen sei.
Der Kläger hat - soweit noch von Interesse - beantragt
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 2. Januar 2003 beendet worden ist.
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags vorgetragen, der Kläger habe in Kenntnis der Kürzung des Werbeetats für das Jahr 2002 aus dem unverbrauchten Etat des Jahres 2001 an Werbeagenturen 1,2 Mio. Euro auf Leistungen gezahlt, die von diesen noch nicht erbracht, sondern für das Jahr 2002 geplant gewesen seien. Er habe die Vermögensinteressen der Beklagten auf das Schwerste geschädigt. Die außerordentliche Kündigung vom 2. Januar 2003 sei nicht verfristet. Das Integrationsamt habe den Antrag als fristgerecht gem. § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX angesehen. Die Einhaltung der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB sei arbeitsgerichtlich deshalb nicht mehr zu überprüfen. Die Zustimmungsfiktion nach § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX sei mit Ablauf des 2. Januar 2003 eingetreten. Jedenfalls sei der zustimmende Bescheid am 3. Januar 2003 spätestens bis 8.30 Uhr beim Prozessbevollmächtigten der Beklagten und damit vor dem Zugang der Kündigung bei dem Kläger eingegangen.
Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage hinsichtlich der außerordentlichen Kündigungen vom 15. und 25. November 2002 stattgegeben und im Übrigen die Klage abgewiesen, weil es die außerordentliche Kündigung vom 2. Januar 2003 für wirksam gehalten hat. Die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht nur hinsichtlich der außerordentlichen, fristlosen Kündigung vom 2. Januar 2003 zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag weiter, dass das Arbeitsverhältnis durch diese Kündigung nicht aufgelöst worden ist.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg.
für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 4. November 2004 - 8 Sa 292/04 aufgehoben, soweit es über die außerordentliche Kündigung vom 2. Januar 2003 entschieden hat.
2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 16. Dezember 2003 - 7 Ca 7237/02 teilweise abgeändert: Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 2. Januar 2003 beendet worden ist.
3. Von den Kosten erster Instanz tragen der Kläger 2/5, die Beklagte 3/5. Von den Kosten der Berufung tragen der Kläger 2/3, die Beklagte 1/3. Die Kosten der Revision trägt die Beklagte.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Revision noch über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung.
Der Kläger war seit dem 1. September 2000 als Marketingdirektor bei der Beklagten tätig.
Am 15. November 2002 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos mit der Begründung, der Kläger habe Rechnungen vorfakturiert, die der Beklagten von Werbeagenturen gestellt wurden. Ein Mitarbeiter der Beklagten hatte bereits im August 2002 entsprechende Hinweise erhalten. Das Vorstandsmitglied S war in der Folgezeit von diesem Mitarbeiter unterrichtet worden, wobei der konkrete Zeitpunkt streitig ist. Jedenfalls Ende September 2002 sind Herrn S erste Verdachtsmomente bekannt geworden.
Mit Schreiben vom 25. Oktober 2002 richtete die Werbeagentur ein Schreiben an das Vorstandsmitglied, in dem es ua. heißt:
„Wir möchten nochmals ausdrücklich betonen, dass die Fakturierung der von uns betreuten Werbemaßnahmen und Projekte auf Anweisung von Herrn K komplett im Dezember 2001 erfolgen sollte. Gleichzeitig verlangte Herr K in unserem Schreiben vom 21.12.2001 die Bestätigung, dass alle Projekte in Bearbeitung sind und im Frühjahr 2002 beendet werden.“
Der Kläger stellte unter dem 19. November 2002 beim Versorgungsamt Dortmund einen Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers teilte dies der Beklagten mit Schreiben vom 26. November 2002 (Zugang bei der Beklagten am 5. Dezember 2002) mit. Bereits am 25. November 2002 hatte die Beklagte eine weitere außerordentliche Kündigung und unter dem 29. November 2002 eine ordentliche Kündigung zum 31. Mai 2003 ausgesprochen. Mit Schreiben vom 16. Dezember 2002, das beim Integrationsamt am 19. Dezember 2002 einging, beantragte die Beklagte vorsorglich die Zustimmung des Integrationsamtes zur außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung. Die Zustimmung wurde sowohl zur außerordentlichen als auch zur ordentlichen Kündigung erteilt. Der Bescheid ging beim Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 3. Januar 2003 ein. Zuvor war der bei der Beklagten gebildete Betriebsrat mit Schreiben vom 19. Dezember 2002 zu einer beabsichtigten ordentlichen und zu einer außerordentlichen Kündigung - erneut - angehört worden. Mit Schreiben vom 2. Januar 2003, das am 3. Januar durch einen Boten um 9.28 Uhr in den Briefkasten des Klägers eingeworfen wurde, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. Mit Schreiben vom 14. Januar 2003 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis vorsorglich fristgerecht zum 31. Juli 2003.
Durch Bescheid des Versorgungsamtes vom 7. Juli 2003 wurde dem Kläger die Anerkennung als schwerbehinderter Mensch versagt; mit Widerspruchsbescheid vom 22. September 2003 wurde diese Entscheidung bestätigt. Die hiergegen vom Kläger zunächst zum Sozialgericht erhobene Klage hat er im Laufe des Berufungsverfahrens vor dem Landesarbeitsgericht zurückgenommen. Dasselbe gilt für die zum Verwaltungsgericht erhobene Klage gegen den zustimmenden Bescheid des Integrationsamtes.
Der Kläger hat gegen alle Kündigungen Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestritten. Die vorgezogene Zahlung der von den Werbeagenturen noch nicht vollständig abgerufenen Leistungen habe dem Interesse der Beklagten an einer raschen Durchführung der Aufträge gedient. Seine Kompetenzen habe er nicht überschritten. Dem Vorstand seien die einzelnen Zahlungen ohne weiteres nachvollziehbar und offensichtlich gewesen. Jedenfalls sei die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht eingehalten. Dies gelte auch bezüglich der - in der Revision allein noch streitigen - Kündigung vom 2. Januar 2003. Dass das Integrationsamt die Einhaltung der zweiwöchigen Antragsfrist des § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX bejaht habe, stehe der arbeitsgerichtlichen Überprüfung der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht entgegen. Bereits das Arbeitsgericht habe aber hinsichtlich der Kündigungen vom 15. und 25. November 2002 erkannt, dass der Beklagten der maßgebliche Kündigungssachverhalt mehr als zwei Wochen vor Ausspruch der Kündigungen bekannt gewesen sei.
Der Kläger hat - soweit noch von Interesse - beantragt
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 2. Januar 2003 beendet worden ist.
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags vorgetragen, der Kläger habe in Kenntnis der Kürzung des Werbeetats für das Jahr 2002 aus dem unverbrauchten Etat des Jahres 2001 an Werbeagenturen 1,2 Mio. Euro auf Leistungen gezahlt, die von diesen noch nicht erbracht, sondern für das Jahr 2002 geplant gewesen seien. Er habe die Vermögensinteressen der Beklagten auf das Schwerste geschädigt. Die außerordentliche Kündigung vom 2. Januar 2003 sei nicht verfristet. Das Integrationsamt habe den Antrag als fristgerecht gem. § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX angesehen. Die Einhaltung der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB sei arbeitsgerichtlich deshalb nicht mehr zu überprüfen. Die Zustimmungsfiktion nach § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX sei mit Ablauf des 2. Januar 2003 eingetreten. Jedenfalls sei der zustimmende Bescheid am 3. Januar 2003 spätestens bis 8.30 Uhr beim Prozessbevollmächtigten der Beklagten und damit vor dem Zugang der Kündigung bei dem Kläger eingegangen.
Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage hinsichtlich der außerordentlichen Kündigungen vom 15. und 25. November 2002 stattgegeben und im Übrigen die Klage abgewiesen, weil es die außerordentliche Kündigung vom 2. Januar 2003 für wirksam gehalten hat. Die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht nur hinsichtlich der außerordentlichen, fristlosen Kündigung vom 2. Januar 2003 zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag weiter, dass das Arbeitsverhältnis durch diese Kündigung nicht aufgelöst worden ist.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg.
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